Interview mit unserem Mitglied Dirk Freese

BIV-Mitglied Dirk Freese (56) ist seit über 25 Jahren als Versichertenberater der Deutschen Rentenversicherung Bund in Nordwestmecklenburg tätig. Er ist damit einer von über 2.600 Frauen und Männern, die den Bürgerinnen und Bürgern bundesweit in Rentenangelegenheiten behilflich sind. Und zwar ehrenamtlich und für den Kunden kostenlos. Ihre Aufgabe nach § 39 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV): Eine ortsnahe Verbindung des Versicherungsträgers mit den Versicherten und den Leistungsberechtigten herzustellen und diese zu beraten und zu betreuen. So weit, so gut. BIV-Geschäftsführer Jürgen Hermann wollte Näheres wissen, und Dirk Freese gab bereitwillig Auskunft.

Hermann: Herr Freese, im Zuge der ersten gesamtdeutschen Sozialwahl im Jahr 1993 sind Sie – wie es damals noch hieß – zum Versichertenältesten gewählt worden. Danach haben Sie sich weitere viermal erfolgreich zur Wahl gestellt, und bei der nächsten Sozialwahl 2023, das haben Sie mir im Vorgespräch schon verraten, wollen Sie wieder antreten. Die Tätigkeit muss Ihnen ja offensichtlich viel Spaß machen und Ihnen einiges geben. Was genau gefällt Ihnen am Job eines Versichertenberaters, und weshalb würden Sie ihn anderen empfehlen?

Freese: Die ehrenamtliche Tätigkeit als Versichertenberater ist das dankbarste Ehrenamt, das man bekleiden kann. Die Erwerbsbiographie hat jeder selbst geschrieben – die Berater sind diejenigen, die dafür sorgen, dass alle rentenrechtlichen Zeiten über die Kontenklärungen so anerkannt werden, wie es das Gesetz fordert. Der Rentenantrag ist dann der letzte Schritt, um in den wohl-verdienten Ruhestand zu treten. Auch hierbei helfen wir selbstverständlich. Für die Versicherten ist das Rentenrecht zumeist ein großes „Böhmisches Dorf“. Hier auf Fachleute zu treffen, die ausschließlich das Wohl des Versicherten im Auge haben und ihn dahingehend beraten, wird als wohltuend empfunden. Und dadurch wiederum fühlt sich der Berater besonders wertgeschätzt. Daran kann man sich gewöhnen.

Hermann: Können Sie die Aufgaben eines Versichertenberaters einmal konkreter beschreiben? Das Gesetz formuliert hier ja eher allgemein und blumig. Was sind Ihre persönlichen TOP-Beratungsthemen?

Freese: Die Unterstützung durch die Versichertenberater bezieht sich heute insbesondere auf die Hilfestellung bei der Beantragung der jeweils gewünschten Rente, egal ob Altersrente, Erwerbsminderungsrente oder die Hinterbliebenenrente. Im Laufe der Zeit haben sich die Schwerpunkte aber zumindest im Osten Deutschlands, wo ich tätig bin, erheblich verändert. So waren es Mitte der 1990er-Jahre zunächst die Kontenklärungen, die sicherstellen sollten, dass alle relevanten Zeiten überhaupt erfasst wurden. Besonders diffizil waren dabei Sonderregelungen für Berufsgruppen wie zum Beispiel der Polizei, der Lehrerinnen und Lehrer, der Ingenieure oder auch der ehemaligen Parteimitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Übrigens sind diese Regelungen des Gesetzes über die Überführung von Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen teilweise noch heute strittig und rechtsanhängig, obwohl das Gesetz schon am 1. 8.1991 in Kraft getreten ist. Das letzte relevante Urteil hat im Januar 2019 das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern gesprochen. Es wird vielen ehemaligen Polizisten und Feuerwehrangehörigen, die ihren Dienst in Mecklenburg-Vorpommern geleistet haben, eine zum Teil deutlich höhere Rente und je nach Antragsdatum eine schöne Nachzahlung bescheren. In der Vergangenheit habe ich, in der Hoffnung, dass das Urteil so kommt, vielen Personen geraten, ein ruhendes Verfahren einzuleiten und dabei Hilfestellung bei der Formulierung geleistet. Der längste, von mir betreute Sachverhalt datiert aus dem Jahre 2007. Hier ist eine Nachzahlung ab 2003 wahrscheinlich, die sich dann im fünfstelligen Bereich einordnen dürfte. Dass dies Freude beim Versicherten auslösen wird, ist nachvollziehbar. Hätte ich dieses ruhende Verfahren nicht vorgeschlagen, hätte er „nur“ eine Nachzahlung ab 2015 zu erwarten gehabt. Da wird sie sicher wieder sein, die Dankbarkeit des Begünstigten, und – ehrlich gesagt – das freut auch mich und erfüllt mich mit Befriedigung.

Hermann: Was ist für Sie dabei Alltag, und was stellt auch einen alten Hasen wie Sie vor besonderen Herausforderungen?

Freese: Auch in unserer schnelllebigen Zeit gibt es Fragen, deren Beantwortung sich in den letzten 26 Jahren nicht verändert hat. Das ist dann für mich mehr oder weniger Routine. Viel spannender sind die ständigen Rechtsänderungen oder einschlägigen Urteile des Bundessozialgerichtes und des Bundesverfassungsgerichtes. Diese Veränderungen möglichst zeitnah in die jeweiligen Beratungen mit einfließen zu lassen, ist die größte Herausforderung. Denn der Anspruch sollte stets sein, eine Beratung umfassend und bestmöglich durchzuführen.

Hermann: Sie machen das Ganze ja nun nicht hauptberuflich. Heißt: Sie sind von Natur aus kein Rentenfachmann und haben eine andere Ausbildung genossen. Woher kommt das Wissen, und wie schaffen Sie es, den ständig wachsenden Herausforderungen und neuen Fragestellungen gerecht zu werden?

Freese: Glücklicherweise genießen wir eine Top-Betreuung durch das Selbstverwaltungsbüro der Deutschen Rentenversicherung Bund. So werden wir in aller Regel einmal jährlich zu einem einwöchigen Seminar eingeladen, in dem uns von Dozenten der DRV Bund das notwendige Wissen vermittelt wird. Zusätzlich unterstützen uns die Regionalträger, in meinem Fall die Deutsche Rentenversicherung Nord in Schwerin mit zwei bis drei Veranstaltungen pro Jahr vor Ort. Außerdem können wir in Zweifelsfragen eine direkte Durchwahl nutzen, um sicher zu sein, dass bei der Antragstellung oder Beratung nichts schief läuft. Das klappt vorbildlich.

Hermann: Wo üben Sie Ihre Tätigkeit aus? Bieten Sie feste Sprechstunden an? Kann jeder Ihre Dienste in Anspruch nehmen – auch Nichtversicherte oder Versicherte der ehemaligen Landesversicherungsanstalten? Wie halten Sie es mit Hausbesuchen?

Freese: Ich halte es so, dass zunächst einmal feste Sprechstunden angeboten werden. Wenn es dem Einzelnen nicht möglich ist, die Sprechstunde aufzusuchen, besuche ich ihn zuhause. Insbesondere in dem ländlichen Bereich, für den ich gewählt wurde, sind Hausbesuche keine Seltenheit. Selbstverständlich werden alle Versicherten der Deutschen Rentenversicherung betreut, unabhängig davon, zu welchem Versicherungsträger sie gehör(t)en.

Hermann: Wieviel Zeit bringen Sie alles in allem für Ihre Tätigkeit auf bzw. wie viele Beratungsgespräche führen Sie pro Woche? Werden Sie dafür in irgendeiner Form entschädigt, denn „draufzahlen“ sollten Sie trotz Ehrenamt am Ende nicht.

Freese: Der zeitliche Umfang beläuft sich bei mir auf ca. 10 bis 15 Stunden pro Woche, inklusive der Sprechstunden, der Vorbereitung von Rentenanträgen und der telefonischen Auskünfte. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass an einem Tag bis zu 15 Telefonate von Auskunftssuchenden aufgelaufen sind. Dann muss ich etwas mehr Zeit aufbringen. Für unsere „Arbeit“ bekommen wir eine monatliche Aufwandsentschädigung, Fahrkostenerstattung sowie die Erstattung von Telefon- und Portogebühren. Draufzahlen muss also niemand.

Hermann: Zu guter Letzt, Herr Freese: Gibt es in den mehr als 25 Jahren Ihrer Tätigkeit als Versichertenberater grundsätzliche Dinge oder einzelne Episoden, die besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Freese: Es gibt tatsächlich eine Besonderheit, die ich nicht vergessen kann. Ein Ehepaar kam in die Beratungsstunde und bat um Überprüfung der Rentenbescheide – beide Bescheide waren richtig. Auf mein Nachfragen stellte sich dann heraus, dass beide ein zweites Mal verheiratet waren (Eheschließung 1988) und die vorherigen Ehen endeten, weil der jeweilige Ehepartner verstorben war. Das Rentenrecht der DDR sah in diesen Fällen vielfach nur eine Hinterbliebenenrente von zwei Jahren vor. Danach konnte man also getrost erneut heiraten, ohne Ansprüche zu verlieren. Mit Einführung des neuen Rentenrechts hätten beide aber Anspruch auf eine dauerhafte Hinterbliebenenrente gehabt, wenn sie nicht wieder geheiratet hätten. Damit aber nicht genug: Wenn die jetzige Ehe geschieden werden sollte, hätten beide Personen Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente nach ihrem verstorbenen vorletzten Ehegatten – eine kaum bekannte Rentenart. Sie hätten also durch eine Scheidung das „Familieneinkommen“ um ca. 1.000,– Euro nach oben geschraubt. Schon kurios! Um das klarzustellen: Ich habe nicht explizit zur Scheidung geraten und mir ist nicht bekannt, ob tatsächlich ein Scheidungsverfahren eingeleitet wurde.

Hermann: Ich danke Ihnen für Ihre offenen und ehrlichen Antworten. Nach meiner Überzeugung haben Sie damit beste Werbung für`s Ehrenamt und die Selbstverwaltung in der bundesdeutschen Sozialversicherung gemacht.